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Sind Sie teamfähig? Über einen Begriff, der längst zur Phrase verkommen ist.

Eine Kolumne von Frank Preßler


Die Teamfähigkeit ist eine der wenigen Voraussetzungen, die in vermutlich 99,9% aller Stellenausschreibungen im Bereich der Wissensarbeit vorkommt. Welche Firma möchte auch schon explizite Einzelgängerinnen und Steppenwölfe einstellen? Nur was bedeutet das Wort eigentlich? Was ist ein Team und welche Fähigkeiten sind damit gemeint? Zeit für einen Diskurs.

Typische Assoziationen mit dem Begriff der Teamfähigkeit sind beispielsweise ein gutes Miteinander mit den Kolleginnen und Kollegen oder bereits das bloße Reden in Gruppen. In sich verselbständigenden Teams können auch Eigenschaften der Gruppendynamik und des schon begrifflich negativ angehauchten Korpsgeistes hinzukommen.

Anstatt also in der nebeligen Suppe der Wortbedeutungen umherzuirren, schlage ich gleich zu Beginn des heutigen Essays stattdessen die zehn folgenden, konkreten Merkmale vor:

  1. Diversität als Chance
  2. Toleranz
  3. Engagement
  4. Frustrations- und Ambiguitätstoleranz
  5. Achtsamkeit
  6. Kritikfähigkeit
  7. Demut
  8. Zuverlässigkeit
  9. Kompromissbereitschaft
  10. Meinungsstärke

Ein typisches Merkmal von Teams ist es, dass unterschiedliche Individuen zusammenarbeiten sollen. Im Hinblick auf die verschiedenen Varianten der Persönlichkeitseigenschaften[1] wird klar, dass Teams schon aufgrund ihrer Zusammenstellung scheitern können, wenn die Teammitglieder sich zu ähnlich sind und/oder eine zu geringe Ausprägung der zuvor genannten Merkmale mitbringen. Wir alle wissen um die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale, die sich in Teams wiederfinden. In den 1980er Jahren konnte der britische Psychologe Meredith Belbin insgesamt neun Rollen identifizieren, die in Teams typischerweise vorkommen können[2]:

  • Erfinderin[3]
  • Spezialistin
  • Beobachterin
  • Koordinatorin
  • Teamarbeiterin
  • Wegbereiterin
  • Umsetzerin
  • Perfektionistin
  • Macherin

Ein gutes, reifes Team kann sich auf Basis dieses Modells zumindest überlegen, ob und welche Rollen unbesetzt sind, ob diese Lücken aufgefüllt werden sollen oder aber ob es gute Gründe gibt, bestimmte unbesetzte Rollen ganz bewusst leer zu lassen.


Was Aristoteles mit Teams zu tun hat

Seit 2016 existiert darüber hinaus eine essentielle Studie, die uns ebenso hilft, gute Teams von schlechten zu unterscheiden. Keine geringere Firma als Google hat in einem zweijährigen Projekt namens „Aristotle“ mehr als 180 der eigenen Teams untersucht um herauszufinden, ob es bestimmte Eigenschaften gibt, die besonders effektive Teams eint[4]. Der Projektname geht auf ein stark verkürztes Zitat des Philosophen Aristoteles zurück, wonach das Ganze mehr sei als die Summe seiner Teile[5]. Zu ihrem eigenen Erstaunen waren nicht etwa die Gehälter besonders relevant, auch nicht die oben genannte Zusammensetzung der Teams oder die individuellen, beruflichen Hintergründe. Selbstredend haben diese (und noch einige Eigenschaften mehr) eine Relevanz, aber eben gerade keine durchgehende und allgemeingültige. Stattdessen haben sich die folgenden fünf Effektivitätskriterien herausgestellt:

  1. Psychologische Sicherheit
    Dieses Kriterium steht nicht zufällig an Position 1 – es ist vielmehr tatsächlich in der Studie als wichtigstes Merkmal erkannt worden. Aber was bedeutet es? Nun, es geht um den fundamentalen Grundwert des Vertrauens und der Sicherheit. Kann ich etwas aussprechen, ohne ausgelacht zu werden? Kann ich in dem Team Risiken eingehen, ohne dass die Wertschätzung mir gegenüber leidet? Nur diese Art der Sicherheit in Verbindung mit umfassender Fehlertoleranz führen dazu, dass auch einmal „um die Ecke“ gedacht wird und echte neue Ideen entstehen können.[6]

  2. Zuverlässigkeit
    Dieser Aspekt mag banal erscheinen – und doch zeigt die Praxis oft das Gegenteil. Typischerweise wird Arbeit in Teams verteilt, bestenfalls auf alle Mitglieder gleichermaßen. Hier kann Aristoteles gerne um die Redewendung „Eine Kette ist nicht stärker als ihr schwächstes Glied.“ ergänzt werden, die vom amerikanischen Psychologen William James (1842-1910) stammt. Schon die Unzuverlässigkeit eines Teammitglieds kann ähnlich wie ein Virus verheerende Auswirkungen haben und das Team als Ganzes ernsthaft gefährden.

  3. Struktur und Übersichtlichkeit
    Eine der wesentlichen, übergreifenden Führungseigenschaften ist das Schaffen von Klarheit. Diese Notwendigkeit gilt ebenso in Teams und meint, dass jedes Mitglied die eigenen Ziele kennen und ebenso verstanden haben muss. Jedes Teammitglied muss die eigene Rolle kennen, die Abläufe sowie die weiteren Parameter rund um das Team.

  4. Sinn (für einen selbst)
    Eine besondere Effektivität von Teams ist dann erkennbar, wenn die einzelnen Mitglieder einen auf sich selbst bezogenen Sinn ihrer Arbeit erkennen. Zu beachten ist dabei, dass der Sinn durchaus individuell unterschiedlich sein kann. Es muss nicht immer gleich um den Weltfrieden gehen, auch subjektive Gründe wie Selbstverwirklichung, Karriereabsichten oder ähnliches können sinnstiftend sein.

  5. Einfluss bzw. Effekt
    Neben der Sinnhaftigkeit eines Projektes für einen selbst muss dieses auch eine spürbare Relevanz haben, es muss einen erkennbaren Beitrag für das Unternehmen als Ganzes liefern und je nach Größe und Ausprägung bestenfalls auch darüber hinaus im gesellschaftlichen Kontext. Ganz individuell und auf Mikroebene gilt aber schlicht, dass jedes Individuum erkennen will, dass der persönliche Einsatz gewürdigt wird und nicht in der Menge untergeht. Besonders hilfreich ist dabei die Kommunikation zu Beginn, um die Wichtigkeit und Relevanz des Projekts darzustellen. Für den Abschluss gilt sinngemäß dasselbe, um die erzielte Wirkung auch explizit darzustellen.


Gleichwohl Google schon zum Selbstschutz erklärt hat, die Ergebnisse seien nicht verallgemeinerbar ist doch festzustellen, dass die fünf genannten Merkmale schon deshalb beachtenswert sind, weil sie gerade nicht mit Eigenschaften korrelieren, die man typischerweise in erster Linie Tech-Firmen des Silicon Valleys zuschreibt. Vielmehr betreffen sie grundlegende, psychologische Eigenschaften des Menschen an sich und sind gerade deshalb universell einsetzbar.


Die Grenzen von Teams und ihre Eigendynamiken

Nachdem nun in aller Kürze erfolgskritische Eigenschaften von Teams und ihren Mitgliedern geklärt sind, bleibt die eine Frage: Sind Teams denn überhaupt das Allheilmittel? Diese Frage sollte nicht voreilig mit „Ja“ beantwortet werden, solange nicht die typischen Nachteile beschrieben sind. Die wesentlichsten Risiken sind bereits oben indirekt dargestellt: follow-the-boss, Konformismus, Informationskokons, Unklarheit über Sinn, Zweck und Rollen, Egozentrik und Egoismus oder auch ineffiziente Meetings. Diese Auflistung erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wer Teamarbeit per se als bestmögliche Arbeitsweise bezeichnet, verkennt zum einen individuell-spezifische Eigenschaften wie beispielsweile die Introvertiertheit von Menschen[7] und darüber hinaus auch die Gefahren einer Schwarmdummheit sowie die Erkenntnisse der Aufmerksamkeitsökonomie als begrenzte Ressource für konzentriertes, effektives Arbeiten.

Cass R. Sunstein hat in seinem Buch „Infotopia“ beispielhaft zu den denkbaren Problemen der Gruppendynamiken aus einem Bericht des Senate Select Committee in Intelligence im Kontext des Irak-Kriegs der USA zitiert: „Die CIA zeigte verschiedene Anzeichen von Gruppendenken: wenige Alternativen, selektive Informationsgewinnung, Gruppendruck, Kritikunterbindung oder kollektive Rationalisierung.“[8] Auch die typischen korrektiven Werkzeuge und Mechanismen wie insbesondere sog. „red teams“, „advocatus diaboli“ oder explizite Konkurrenzanalysen haben nicht funktioniert oder wurden erst gar nicht aufgerufen. Das Ergebnis dieser mangelhaften Gruppenarbeit ist bekannt.

Nein, Teams sind nur dann gut und richtig, wenn man sich ihrer Schwächen und Stärken vollständig bewusst ist und sie behutsam und zielgerichtet nutzt.


Fluide Netzwerke

An dieser Stelle soll eine Lanze für die fluiden Netzwerke gebrochen werden. Ganz ähnlich wie die Aggregatzustände in der Chemie kann auch das Miteinander von Menschen in drei Stufen unterteilt werden: Starr, flüssig und gasförmig. Starre Systeme finden sich besonders in strengen, hierarchischen, monolithischen Organisationsformen. Ein Netzwerk ist dort faktisch nicht vorhanden. Das andere Extrem beschreibt Individuen, die zu weit voneinander entfernt agieren, um sich überhaupt treffen zu können, so dass ein Austausch ausbleibt. Erstrebenswert sind dagegen flüssige Netzwerke, die einen steten, variierenden Austausch ihrer Bestandteile (hier also der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens oder auch Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils) zulassen und begünstigen. Co-Working-Spaces basieren auf diesem Ansatz, und auch die moderne Architektur von Unternehmen macht sich diese Erkenntnisse mehr und mehr zu Nutze.[9]

In diesem Sinne erfolgt keine Renaissance der zu Recht gefürchteten Großraumbüros. Vielmehr sind differente und variable Büronutzungskonzepte gefragt, die teamorientierte Zusammenarbeit ebenso zulassen wie die unbedingt benötige Einzelarbeit zum Zwecke der ungestörten Konzentration.

Was also bedeutet das Wort „Team“? Die eher zum müde Lächeln anregende Bedeutungserklärung „Toll, ein anderer macht’s.“ passt sicherlich nicht. In einer Arbeitswelt, in der das grenzübergreifende Miteinander immer wichtiger wird, sind gute Teams der Schlüssel zum Erfolg ganzer Unternehmen. Jedes noch so kleine Projekt und jedes Team sollte sich nur über die Erfolgskriterien und Fallstricke bewusst sein, um bestmöglich effektiv und erfolgreich zu sein.

Autor: Frank Preßler



[3] Die Rollenbezeichnungen beziehen alle Geschlechter ein.

[5] vgl. Metaphysik VII 10, 1041 b

[6] Empfehlenswerter TED-Talk hierzu: https://www.youtube.com/watch?v=LhoLuui9gX8

[7] Empfehlenswerte Einsichten finden sich im Buch „Still“ von Susan Cain (https://www.kreativesdenken.com/buch/susan-cain-still-die-kraft-der-introvertierten.html)

[8] Cass R. Sunstein: „Infotopia“ (S. 24, Suhrkamp Verlag 2009)

Kreatives Arbeiten im Team  

Fotolia/Vasyl

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