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Innovate me! – Was Ideen am meisten brauchen [Teil 2]

In Teil 1 dieser mIT.gedacht-Kolumne ging es um erste Grundprinzipien, die den meisten Innovationen innewohnen. Die Fortsetzung befasst sich nunmehr mit der Kraft der Langsamkeit, den Vorzügen der Exaptation sowie den Überraschungen, die sich aus der Serendipität ergeben.

Langsamkeit als Tugend

Viele Ideen werden nicht sofort geboren. Sie entwickeln sich vielmehr über längere Zeiträume. Halbfertige Ideen sind vollkommen normal. Oft sind es nur Ahnungen einer Idee, die viele Jahre benötigen, bis die Zeit reif ist, so dass daraus echte Innovationen oder Veränderungen entstehen. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, wie wichtig das Vernetzen von Ahnungen und Impulsen ist. Singuläre Ahnungen sind oft genug wertlos, da eine entscheidende Information fehlt, die nur von außen kommen kann. Erst die Kombination multidisziplinären Wissens führt zu innovativen Durchbrüchen.

Diese Art eines langsamen Ideenwachstums ist eine dritte Grundmaxime für Innovationen. Sie verläuft üblicherweise nicht linear. Es geht mitunter chaotisch zu, man macht Fehler, biegt falsch ab oder gerät in Sackgassen. Deswegen können Ideen auch so selten in der beruflichen Alltagshektik entstehen, denn man benötigt expliziten Raum dafür (im Sinne von Zeit). Das vermutlich bekannteste Beispiel stammt von Google und fand als 20-Prozent-Regel auch Nachahmerinnen und Nachahmer. Die Botschaft für Googles Belegschaft war: Nutzt 20 Prozent Eurer Arbeitszeit für private Projekte nach eigener Laune und berichtet formlos Euren Chefs ab und an von den Entwicklungs­ständen. Aus diesem Konzept sind mit GMail, Google News, Google Maps und vor allem auch AdSense (Umsatzanteil bei Google rund 30 Prozent!) Googles bekannteste Dienste entstanden.

Die wesentliche Herausforderung in der Praxis besteht darin, solche nicht-fertigen Ideen, diese Art von Ahnungen, immer und ausnahmslos aufzuschreiben. Notizen von Ideen zu erstellen, sollte die Normalität sein, damit nichts in Vergessenheit gerät. Das kann analog wie digital erfolgen. Letzteres hat bei Nutzung offener Informationsportale enorme Vorteile zur Bildung der zuvor genannten flüssigen Netzwerke.

Wer suchet, der findet (etwas anderes)

Wenn sich Ahnungen über einen langen Zeitraum und in chaotischer Weise bewegen, kann es auch dazu führen, dass plötzlich und überraschend etwas vollkommen anderes gefunden wird. Die zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist, wird als Serendipität bezeichnet, womit wir bei Nummer vier der allgemeingültigen Innovationsregeln sind. Beispiele dafür gibt es viele: die Entdeckung Amerikas, des Teflons, des Klettverschlusses oder auch der Röntgenstrahlung. Die Serendipität kommt nicht einfach so als glücklicher Zufall daher. Es fällt nur Menschen zu, die aktiv nach etwas (anderem) suchen, und genau das ist auch die Abgrenzung zum reinen Zufall. Interessant sind die Methoden, die am besten geeignet sind, um die Gedanken schweifen zu lassen, Abstand vom Alltag zu erlangen und ganz besonders die Assoziationsmaschine im Kopf anzuwerfen. Es sind beispielsweise:

  • Spazieren gehen (physische und mentale Bewegung)
  • Baden
  • Duschen

Wenn Sie einmal darüber nachdenken, fallen Ihnen bestimmte eigene Beispiele ein, die Ihnen während einer der drei genannten Aktivitäten unvermittelt und überraschend in den Sinn kamen. Und vielleicht haben Sie sich auch wie ich schon einmal ein wasserdichtes Diktiergerät gewünscht …

Man kann darüber diskutieren, ob im Kontext der unvermeidlichen Filterblasen und Googles PageRank-System die Digitalität mehr Serendipität fördert als die analoge Zeit. Ich glaube, dass das Internet deutlich mehr und schneller auffindbare Informationen bereitstellen kann als früher die Bibliotheken und Enzyklopädien. Man muss nur offen sein für Neues und sich über die vielen algorithmischen Filter bewusst sein. Zudem hat auch ein Kulturwandel stattgefunden: Lange Zeit verlief das Innovationsmanagement hinter verschlossenen Türen und in Elfenbeintürmen, Ideen wurden durch Patente et cetera abgesichert. Erst seit kurzer Zeit erfolgt die bewusste Förderung der Serendipität durch offene Innovationsplattformen im Sinne von „Open Innovation“. Firmen haben erkannt, dass die Mehrwerte des offenen Vernetzens höher sind als die etwaigen Verluste von eigenen Patenten und Entwicklungen.

Methodisch gesehen lassen sich neue, nicht direkt gesuchte Ideen, übrigens nicht besonders effektiv mittels Brainstorming finden, da diese Methode immer räumlich und zeitlich begrenzt ist. Ideen aber wachsen oft kontinuierlich und außerhalb von Bürozeiten. Empfehlenswert sind daher dauerhafte Informationsnetzwerke, sozusagen offene Datenbanken für Ahnungen. Eine Art digitaler Ideenbriefkasten mit einem offenen Forum sowie Bewertungsmöglichkeiten ist hilfreich, auch um dem Gebot des durchgehenden Aufschreibens aller Ideen Folge zu leisten. Offenheit ist Pflicht, und ein schönes Beispiel für eine offene, kundengetriebene Ideenplattform ist die Idea Exchange von Salesforce.com. Individuelle Intelligenz wird mit kollektiver Intelligenz vernetzt, daraus ergibt sich eine firmenweite Plattform zur durchgehenden Förderung serendipitiver Momente.

Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.

Die folgende These wird nicht besonders überraschend sein: Scheitern und Irrtum sind durch und durch innovationsimmanent, also zwingender Bestandteil einer jeden Innovation und damit Voraussetzung Nummer fünf. Das ist nicht neu. Bedauerlicherweise muss jedoch eine daraus abgeleitete positive Fehlerkultur immer wieder neu belebt werden. Die wirkliche Herausforderung insbesondere bei echten Erfindungen ist vielmehr, Irrtümer als solche auch zu erkennen und nicht als Störung oder Fehlfunktion. Insbesondere in der Naturwissenschaft sind viele Entdeckungen nur entstanden, weil vermeintliche Fehler als Hinweise für vollkommen neue und richtige Theorien verstanden wurden. Erlauben Sie ein ziemlich spezielles Beispiel dafür: die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung als Echo des Urknalls. Die beiden entscheidenden Physiker hielten die ersten Messungen 1964 für einen Fehler durch defekte Messgeräte und erhielten erst durch ein zufälliges Gespräch mit einem Astrophysiker - als wunderbares Beispiel für die Notwendigkeit von Netzwerken sowie der Serendipität - den entscheidenden Hinweis.

Das Bild zeigt ein Zitat von William Stanley Jevons Bildrechte: IT.Niedersachsen
Und als Folge dieses Zufalls erhielten sie 1978 den Nobelpreis in Physik. Ganz ähnlich lässt sich die vergleichsweise späte Entdeckung der sogenannten Exoplaneten [1] erklären. Die Kurzfassung: Die Astrophysiker haben zuvor schlichtweg unter falschen Annahmen in eine falsche Richtung geschaut. Erst der offenere, die bisherigen Annahmen ignorierende, Ansatz der beiden Schweizer Mayor und Queloz hat 1995 zum Durchbruch geführt. [2]

Die Evolution selbst ist ein jahrtausendlanger Prozess von Irrtum und Fehler. Letztlich sind auch die Menschen nur durch Fehler entstanden. Und wenn man auf bestimmte Eigenschaften der Menschheit schaut, verbleibt die logische Frage, ob der Mensch nicht auch nur ein Fehler und nur eine Zwischenstation zur nächsthöheren Spezies ist.

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Die zu Beginn skizzierte Grundannahme des Nächstmöglichen führt uns zu einer weiteren, der nunmehr sechsten grundlegenden Weisheit für neue Ideen. Es geht um die Zweckentfremdung von vorhandenen Eigenschaften oder nach Wikipedia zitiert um „die Nutzbarmachung einer Eigenschaft für eine Funktion, für die sie ursprünglich nicht entstanden war“. In der Evolution nennt man dieses Vorgehen auch Exaptation. Die Welt der Erfindungen kennt unzählige Beispiele dafür, etwas bereits Vorhandenes zu einem vollkommen neuen Zweck zu nutzen. Als Beispiel sei Gutenbergs Buchdruck genannt, den er sich über die bereits vorhandenen Geräte in der Weinproduktion abgeschaut hat. [3]
Auf dem Bild sehen Sie eine Musik-Kassette und einen Bleistift   Bildrechte: Adobe Stock | Prostock-studio
Diese Exaptation ist der jungen Generation vollkommen fremd.
Mehr und mehr zeigt sich dabei, wie sehr die bereits schon vorgestellten Prinzipien miteinander verwoben sind. Die Zweckentfremdung von Verfügbarem funktioniert umso besser, je mehr Netzwerke, Fehlerakzeptanz und Zufallserfindungen existieren und je größer die Unterschiedlichkeit der Netzwerkteilnehmer/innen ist. Schon Anfang der Nuller-Jahre des aktuellen Jahrhunderts wurde in einer Studie eindrucksvoll belegt, dass horizontale, soziale Netzwerke drei Mal so innovativ sind wie homogene, vertikale Netzwerke. [4] Erst die Heterogenität von Gruppen, deren Unterschiedlichkeiten in Wissen und Denken, führt dazu, dass Filter und Konformitäten aufgebrochen werden. Nur so können Ideen zwischen einzelnen Gruppen zirkulieren und neu zusammengesetzt werden. Auch Gutenberg hätte ohne seine sozialen Beziehungen zu Weinbauern vermutlich länger für seinen Buchdruck benötigt, oder aber jemand anders wäre heute für diese Erfindung bekannt.

Die siebte und letzte Voraussetzung für Ideen ergibt sich aus der Erkenntnis, die insbesondere offene Erfindungen mit sich bringen. Bestimmte Erfindungen sind derart fundamental, dass sie als Plattformen für andere Menschen und Ideen dienen, die ohne diese Plattform gar nicht denkbar wären. Das sicherlich eindrucksvollste Beispiel ist das GPS-Signal, das ursprünglich nie zivil genutzt werden sollte und heute unzähligen Services als Plattform dient. Das Internet als solches zählt ohne Zweifel auch zu dieser Art von Plattformen für weiterentwickelte Geschäftsideen.

Fazit:
Wenn Sie beide Teile dieses Essays über Innovationen gelesen haben, dürften Sie einen Blick für die Kernprinzipien haben, wie neue Ideen am besten gedeihen. Eine Idee benötigt ein breites Netzwerk, Offenheit, Neugier, Fehlertoleranz, Zeit und Geduld und manchmal auch einfach nur noch einen glücklichen Zufall. Um diese Voraussetzungen zu schaffen, bedarf es immer und überall aktiver Handlungen, privat genauso wie beruflich. Ratsam ist, den Begriff „Ideen“ nicht so eng zu sehen, fassen Sie ihn weit. Es geht immer auch um kleinstmögliche Verbesserungen im Alltag, die durch einen zu engen Blick, durch Vorurteile oder soziale Filterblasen nicht gefunden werden können.
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